Paul ist in Berlin – genauer gesagt in Ostberlin. Der Weg dorthin war geprägt von Aufregung, Erregung und dem Drang, in die große Stadt zu kommen. Die Lautstärke, der Lärm, die Leute, der Verkehr und der Geruch der Großstadt. Das alles vesetzte ihn schon im Vorfeld in eine Freude, die er lange nicht mehr verspürte. Paul fuhr mit seinem schwarzen Golf3. Dieser in die Jahre gekommene Volkswagen hatte hier und da ein paar Dellen und Kratzer, war aber ansonsten in einem vorzeigbaren Zustand. Beim Einfahren in die Stadt hat Berlin ihn sofort in seinen Bann gezogen. Die Art der Häuser, die Straßen, die Geschichte. Ost- und Westberlin – die Gegensätze. Doch es ging wie immer los. Jede schöne Seite hat auch eine Kehrseite. Der Verkehr war sofort, wie Paul ihn erwartet hatte. Überall rote Ampeln, hupende Taxis und Berliner, die sofort merkten, dass man nicht von hier war. Paul war auf seinem Weg ins Hotel. Dem Schulz in Berlin. Er war dort noch nie abgestiegen und wusste nicht, was ihn erwarten würde. Zuvor machte er aber noch einen Abstecher. Er wollte Berlin erkunden. Er hatte Zeit. Schnell fand er irgendwo in Mitte einen Parkplatz. Natürlich im Halteverbot. Es war ihm egal. Er stieg aus und nahm einen tiefen Zug der Berliner Luft, die er so vermisst hatte. Endlich. Die Luft strömte in seine Lungen und er war sofort beflügelt und froh, in der Hauptstadt angekommen zu sein. Es roch nach Spannung, nach Abgase, nach Menschen. Paul ging zum nächsten Späti und kaufte sich erst einmal ein Bier und eine billige Flasche Wein. Er hatte Lust darauf und außerdem wollte er sein Ankommen besiegeln. Der Kassierer war ihm sofort sympathisch. Paul schob sein Kleingeld rüber und verabschiedete sich. Draußen machte er mit einem Feuerzeug seine Flasche Becks auf und lies den Deckel auf den Berliner Boden fallen. Einer mehr oder weniger würde nicht auffallen. Dann holte er seine Luckies raus und zündete sich eine an. Es gibt nichts Besseres als ein Bier und eine Kippe in einer großen Stadt. Die ersten Züge waren herrlich und er stand einfach nur da und genoss den Moment. Er beobachte Leute, die vorbei kamen und freute sich, die nterschiedlichsten Typen an sich vorbeigehen zu sehen. Als er dann fertig war, schmiss er die Flasche weg und schnippte die Zigarette in den Bordstein. Beim Rückweg zum Auto ging er extra langsam, um sich alles in Ruhe anzuschauen und dann machte er sich auf den Weg zum Hotel. Das Auto hatte kein Navi und sein Akku machte langsam schlapp. 10 Prozent nur noch. „Toll“, dachte er sich. Nicht einmal die 3 Stunden Fahrt und ein bisschen Spotify hielt das Ding aus. Das Navi im Handy zog widerlich viel Batterie, aber es hatte gerade so gereicht.

Paul kam, durch den Verkehr und die vielen Ampelrotphasen bedingt, sehr langsam und stockend auf den elend langen Straßen, die sich durch Berlin ziehen, voran. Doch er konnte am Horizont schon langsam das Schild des Hotels erkennen. Ein riesiger Betonklotz mit hunderten von Fenstern grinste ihn an. Auf dem Dach prangte die riesige Schrift des Hotel Schulz. Geschwungene Neonbuchstaben in weiß erhellten die Dunkelheit. Er parkte direkt am Ostbahnhof, schleppte seine Sachen ins Hotel und stand dann eine Weile an der Rezeption. Hinter dem Tresen stand ein hübsches Mädchen, welches ihn mit einem „Hallo!“ und einem Lächeln begrüßte. Sie war keine Deutsche. Paul vermutete sie hatte entweder kroatische oder ungarische Wurzeln. Man merkte es sofort an ihrem Akzent, der sehr sympatisch war. Sie nahm seine Daten auf, suchte die Buchungsbestätigung raus und schob ihm seine Karte mit der Zimmernummer 351 über den Tresen. Er nahm seine Sachen, fuhr mit dem Fahrstuhl in die dritte Etage, drückte seine Karte an den Türsensor und betrat endlich das Zimmer. Der Geruch und das Gefühl in ein frisch gemachtes Hotelzimmer zu kommen, waren herrlich. Der Blick aus dem Fenster fiel auf die Spree. Stundenten tummelten sich auf der Wiese davor und tranken irgend etwas – wahrscheinlich Wein oder Bier. Paul schmiss meine Sachen in die Ecke, ließ sich aufs Bett fallen und blieb erstmal 10 Minuten liegen. Bevor er einschlief, musste er noch ein paar Besorgungen für den ersten Abend machen. Snacks und etwas zu Essen standen ganz oben auf seiner Liste. Zuerst aber ging Paul in die Lobby und beobachtete die Hotelgäste. Er wollte wissen, welche Art von Menschen im Schulz Hotel so rumliefen. Größtenteils waren es Schüler. Wahrscheinlich waren es Schulklassen. Auf den Fluren wurde Fußball gespielt und die Jungs beschimpften die Mädchen mit „du Hure“ oder „du Schlampe“. Ja, es waren Schüler. Vereinzelt liefen auch ältere Personen durch die Lobby, aber das war eher die Ausnahme. Paul schaute schon einmal, wo ein geeigneter Platz an der Bar war, an dem er sich abends niederlassen könnte. Er ging raus und stellte sich vor das Hotel um eine zu rauchen. Dort war der Raucherbereich, wo viele Schüler und auch die Aschenbecher standen, damit nicht jede Kippe auf dem Boden landete. Paul fiel sofort eine Frau auf. Sie muss um die 25 gewesen sein – schätzte er. Aber bei sowas kann man sich ja auch mal arg verschätzen. Sie stand in ihrer dicken Daunenjacke und rosafarbenen Latschen vor dem Eingang, war blond und rauchte. Paul guckte immer wieder rüber, weil sie genau sein Typ Frau war. Sie zog immer wieder an ihrer Zigarette. Er musste sich zusammenreißen, damit sie nicht bemerkte, dass er sie permanent anstarrte.

Paul machte sich mittlerweile seine zweite Zigarette an und überlegte, was sie hier wohl machte. War sie ein normaler Gast im Hotel, der einfach nur eine rauchte, wartete sie auf jemanden? Er konnte es nicht ausmachen. Oder war sie ein Escort-Mädchen, das versuchte die Zeit totzuschlagen, bis ihr Freier sie abholte? Plötzlich setzte sein Kopfkino ein und er stellte sich vor, sie anzusprechen und mit auf sein Zimmer zu nehmen. 100€ für‘ne Stunde … Extras kosten mehr. Warum nicht? Es kriegt niemand mit, einfach mal ein bisschen Entspannung mit einem Mädel, das man nicht kennt. Ein bisschen Ablenkung und Sachen machen lassen, die ihm gefallen würden. In seiner Vorstellung war sie nun ein Escort Mädchen, das nur darauf wartete, angesprochen zu werden. Er war kurz davor, es zu versuchen, bis ihn plötzlich jemand ansprach: „Haben sie Feuer“? Wie aus dem Nichts wurde er aus seiner Vorstellung geworfen. Er war sauer. Welcher Trottel riß ihn aus seinem feuchten Tagtraum?. Vor ihm stand ein Schüler, vielleicht über 18 Jahre, vielleicht auch nicht. „Was ist denn das hier? Erstmal heißt das Bitte. Sonst gibt‘s hier gar nichts! Und das nächste Mal erschreckst Du mich nicht so!“ sagte Paul mit einem recht aggresiven Unterton. Der Schüler zuckte zusammen und drehte sofort um. „Nu warte. War nicht so gemeint. Ich hab gerade an was gedacht. Kannst Du ja nichts für.“ versuchte Paul, den Jungen zu besänftigen. Er holte sein bronzefarbenes Zippofeuerzeug raus und gab ihm Feuer. „Danke“ sagte der verunsicherte Schüler und ging zurück zu seinen Freunden. Paul wurde nun klar, dass er sich die ganze Sache nur vorgestellt habe und mit seinen Gedanken etwas zu weit abgedriftet war. Das Mädchen drückte gerade ihre Zigarette aus, tippte noch etwas ins Handy und ging dann langsam zurück ins Hotel. Paul überlegte kurz, ihr nachzugehen. Merkte aber dann, wie lächerlich er sich machen würde.

Stattdessen ging er zurück auf sein Zimmer und machte den Wein auf, den er vorhin im Späti mitgenommen hatte. Es war ein billiger Wein. 1.99€. Je günstiger, desto besser dachte er sich immer. Solange er keinen dicken Schädel am nächsten Tag habe, war alles gut. Das erste Glas war schnell leer und er füllte schnell das nächste nach. Nach einer Weile und ein paar Gläsern ging er runter in die Lobby und nahm seinen Laptop mit. Er wollte an seinen Kurzgeschichten weiterschreiben. Und die Atmosphäre einer Hotellobby war wie gamacht dafür. Wildfremde Leute, die kamen und dann auch schon wiwder weg waren. Man würde sie nie wieder sehen. Diese Unverbindlichkeit, dieses Rastlose. All das inspirierte ihn zu schreiben. Die Wörter flossen nur so raus und die Finger klackerten über die Tastatur. Schüler, die sich trafen, um im Nachtleben einen draufzumachen. Ein Lehrerpärchen, das über verschiedene Lehrmethoden philosophierte. Leute, die an der Bar Bier tranken und sich ungezwungen unterhielten. Es war das Bild, das er von einer Hotellobby erwartete. Die Flasche Wein wurde langsam leerer und seine Schreiblaune für heute weniger. Es waren mittlerweile 2 Stunden vergangen und alle Wörter geschrieben. Paul packte seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg zurück auf sein Zimmer. Der restliche Wein kam natürlich auch mit auf die 351. Er duschte sich den Dreck des Tages vom Körper und machte das letzte Glas Wein voll. Dann dämmerte er, im Bett liegend, beim hotelfernsehen irgendwann gegen 2 Uhr nachts weg. Er war angekommen. In Berlin. Im Schulz. Morgen würde er in ein anderes Hotel gehen. Eines mit mehr Klasse und Tradition. Er hatte da schon eine Idee.


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