Es war Dienstag, irgendwann im goldenen Herbst. Paul saß, nur mit einer weißen Unterhose bekleidet, in seinem Hotelzimmer und hielt einen Gin Tonic in der Hand, den er sich aus seiner Minibar zusammengeschüttet hatte. Es war sein vierter. Die Gin- und Tonicflaschen waren überall im Zimmer verteilt, so dass das Zimmermädchen wohl drüber stolpern würde, wenn es jetzt käme. Es war nachts, genauer gesagt 2:30 Uhr und Paul schaute regungslos aus den großen Fenstern seines Zimmers. Er hatte eins im 29. Stockwerk des Hauses. Die Lichter Berlins funkelte in der Ferne und er dachte an Floskeln wie „Die Stadt schläft nie.“. Das stimmte aber in dem Fall. Lichter blinkten und viele Autos fuhren durch die Straßen, als ob es keinen Unterschied machte, ob es Tag oder Nacht war. Er stand auf und ging vorm Fenster auf und ab. Er wusste nicht weiter. Je mehr er über die Situation nachdachte, in der er sich befand, um so mehr zog es ihn in eine Dunkelheit, in der er nicht sein wollte. Es regnete und die Tropfen an der Scheibe und die vielen Licher spiegelten sich auf seiner Haut. Er wollte etwas fühlen, sich über Dinge freuen, über die er sich früher gefreut hatte. Die einfachen Sachen. Aber es gelang ihm nicht. Jeder Tag war ein kleiner Neuanfang für ihn, den es zu meistern galt.
Er zog sich an, um nach unten zu gehen und eine zu rauchen. Bei dem ganzen Durcheinander in seinem Zimmer war das allerdings gar nicht so einfach, wie gedacht. Jedes Teil war an einer anderen Stelle versteckt. Als er dann alles gefunden hatte nahm er noch seine Jacke, die Türkarte und ging los. Er ließ die Tür ins Schloss fallen, was extrem laut war, so dass es ihm einen riesen Schreck einjagte. Allerdings war um die Uhrzeit im Hotel nicht mehr viel los und deshalb wirkte jedes Getäch gleich doppelt so laut. Er blickte kurz zurück, ging dann aber auf den weiten Fluren in Richtung Fahrstuhl. Die roten Teppiche und die goldenen Wände wirkten in der Nacht auf Paul noch erdrückender als tagsüber schon. Es war niemand auf den Gängen zu sehen. Lediglich Geräusche, kamen vereinzelnt aus den Zimmern. Mal war es wohl der Fernseher oder eine Unterhaltung von zwei Personen, wobei man nur Gebrabbel verstand. Oder aber das Stöhnen von einer Person, die sich gerade allein einen Porno ansah oder aber von zwei Personen, die sich vergnügten. Ob es ein Mann mit seiner Frau, Freundin oder einem Escortgirl war, konnte Paul natürlich nicht erkennen. Aber es spielte auch keine Rolle, solange er endlich diesen elendig langen Flur verlassen und mit dem Fahrstuhl nach unter fahren konnte. Im Fahrstuhl lief irgendein Gedudel und es roch gut. Es war angenehm dort allein zu stehen. Stehend, aber doch in Bewegung. Bing. Die Aufzugtür öffnete sich und er stand in der Lobby des Hotels. Sie war groß und erstreckte sich über zwei Stockwerke. Aber auch sie war menschenleer. Nur an der Rezeption stand eine Empfangsdame, die beschäftigt wirkend auf ihren Monitor schaute. Sie nahm Paul nicht war. Gut, er sah jetzt auch nicht aus wie der Durchschnittsgast. Gerade jetzt. Nur die Jeans, T-Shirt und eine Barbourjacke übergeworfen. Auch in Kombination mit seinen verwuschelten Haaren wirkte er eher wie jemand, der an der Grenze der zur Obdachlosigkeit kratzte. Dazu kamen noch die weißen Badeslipper, die er sich auf die Schnelle angezogen hatte. Aber es war niemand da, um ihn zu verurteilen. Paul ging durch den großen Eingangsbereich raus auf den Gehweg Richtung Kantstraße und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte blaue Lucky Strikes und sein bronzefarbenes Zippofeuerzeug dabei. Der Regen hatte nachgelassen und die Wolken lockerten sich langsam auf, so dass er sich nicht mehr unter einem Vordach vor dem Regen schützen musste. Er rauchte die Zigarette langsam und beobachtete dabei Leute, die zu dieser Uhrzeit noch unterwegs waren. Besoffene, die sich gegenseitig stützten und Bier tranken. Penner, die mit ihren vollgepackten Einkaufswagen durch die Gegend schoben und Einzelgänger wie Paul, die sich einen Döner an der nächsten Ecke geholt hatten. Nachdem Paul die erste Zigarette weggeschnippst hatte – mit den billigen und wohl leicht schmelzenden Badeslippern wollte er sie nicht austreten – steckte er sich direkt eine neue an. Nachts um 2:45 Uhr schmeckten ihm die Zigaretten richtig gut. Paul fing an ein wenig durch die Gegend zu schlendern – von Müdigkeit keine Spur und auch was seine Stimmung anging, war Bewegung und frische Luft eine willkommene Abwechslung. Das Hotel lag auf einer kleinen Staßeninsel, so dass man hier bequem seine Runden drehen konnte, ohne großartig die Straße zu überqueren. Plötzlich stand Paul vor einem Mann. Er hatte die Uniform vom Waldorfpersonal an und rauchte ebenfalls eine. „Hey... heute die Nachtschicht erwischt?“ fragte Paul forsch. Er zog an seiner Zigarette, pustete den Rauch in die Luft und antwortete: „Ja. Irgendjemand muss den Job ja machen. Aber für ne kleine Raucherpause ist immer Zeit.“
Paul schmunzelte, reichte ihm die Hand und sagte: „Ich bin Paul.“„Hallo, ich bin Maik, freut mich. Was machst Du um die Uhrzeit hier so allein?“ fragte er. „Ich kann nicht schlafen und im Zimmer ist mir die Decke auf den Kopf gefallen.“ versuchte Paul sich zu erklären. „Ja, das kenne ich. Geht vielen Hotelgästen so. Irgendwie scheinen Hotelzimmer so eine Eigenschaft an sich zu haben, die Leute mit ihren Problemen zu konfrontieren.“entgegnete ihm Maik. „Oh Mann, da sagst du was. Ich hatte mir für die Zeit hier so viel vorgenommen und nun sitz ich nur in meinem Zimmer fest und kriege nichts hin, außer über meine Probleme nachzudenken und wie oder was ich an meiner Verfassung ändern kann.“ sagte Paul, nachdem es ihn selbst überraschte, wie offen er gegenüber einer Person war, die er erst seit ein paar Minuten kannte. „Komm mal mit... ich hol mir ein Bier, willst Du auch eins?“ fragte Maik. Paul nickte und Maik verschwand durch den Lieferanteneingang, ließ jedoch die Tür einen Spalt offen. Paul steckte sich eine weitere Luckys an, nachdem er die aufgerauchte ausgedrückt und in den Gulli am Bordsteinrand geschnippst hatte. Es wurde langsam frisch und Paul dachte sich, dass Maik sich ruhig mal mit dem Bier, das ihn wärmen würde, beeilen könnte. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Wahrscheinlich waren es aber nur ein paar Minuten. Dann kam er endlich. Er hatte zwei Flaschen Berliner Pils dabei, die er mit seinem Feuerzeug öffnete. Paul konnte gar nicht so schnell gucken und schon hatte er die Pilsette in der Hand und Maik stieß mit ihm an. „Prost. Auf eine weitere Nacht, die uns von Gedanken genommen wird.“ sagte Maik. „Oh ha, gleich so philosophisch... aber du hast ja recht!“ antwortete Paul. Sie nippten beiden an ihren Bieren und schwiegen eine Weile. Ab und zu sah Paul zu Maik rüber und schaute ihn sich genauer an. Maik war ungefähr in Pauls Alter – um die vierzig. Er hatte eine normale Statur und war recht gut aussehend. Zwar kein Modeltyp, aber ansehnlicher als der Durchschnitt. Es war ungefähr die Sorte Mann, die Paul bevorzugen würde, wenn er auf Männer stehen würde. Nach einer Weile fragte Paul dann Maik, wie lange er denn schon hier im Waldorf arbeitete. „Zu lange. Weißt du am Anfang war es für mich nur ein kleiner Gelegenheitsjob. Aber dann lief es ganz gut und aus Monaten wurden Jahre. Mittlerweile sind es bestimmt schon an die zehn. Man darf da gar nicht drüber nachdenken, sonst wird man melancholisch, wenn man bedenkt, was die ursprünglichen Pläne waren, die man sich fürs Leben gemacht hat.“ sagte Maik. „Was wolltest Du denn machen, wenn du nicht hiergelandet wärest?“ schmiss Paul ein, um den Redefluss von Maik am Laufen zu halten. „Na ja. Ich wollte eigentlich Architekt werden, aber irgendwie hat mich das Leben davon abgehalten. Dazu kommt noch, das man in der Regel in meinem Alter eine Frau, Kinder und eine Eigentumswohung oder ein Haus hat. Und was habe ich? Ich arbeite hier im Hotel im Service, hab eine kleine Zwei-Zimmer-Wohung in Neu-Kölln und beziehungsmäßig mache ich alles mit mir aus. Das ist alles andere als toll, sag ich dir.“antwortete Maik. Er wirkte auf Paul wie eine ganz andere Person als die, von der er gerade erzählte. Er wirkte selbstbewusst, ausgeglichen und in sich ruhend, ja fast schon zufrieden. „Ok. Ich verstehe.“ murmelte Paul vor sich hin. Er war von der Antwort ein wenig überrascht und hatte nun Sorge, in ein Wespennest gestochen zu haben und gleich alle Probleme von Maik um die Ohren gefeuert zu bekommen. Aber dazu war er nicht in der Lage. Er war zwar empathisch, aber nicht heute und schon gar nicht jetzt, wo er mit seinen eigenen Geschichten zu kämpfen hatte. „Aber du, das ist alles halb so wild. Ich habe mich damit abgefunden und mache mir da schon lange nicht mehr so einen Kopf drum. Ich nehme die Tage so, wie sie kommen und genieße sie. Hier im Hotel gibt es genug Ablenkung, falls Du verstehst, was ich meine.“entgegnete Maik ihm fröhlich. „Ah so ... nein, weiß ich nicht, was denn? Naschen am Schokobrunnen oder nackt im Pool schwimmen?“ schoss Paul direkt zurück? Maik lachte und nahm einen Schluck aus seiner Flasche, die nun auch schon leer war. Bei Paul war schon mehr Spucke als Bier in der Flasche, dass kam es ihm gut gelegen, das Maik ihm die Flasche aus der Hand riss und rein stratzte, um neue zu holen.
Paul schaute auf die Straße und überlegte, wo das Gespräch hinführen sollte und ob er einfach reingehen und versuchen sollte, zu schlafen. Da kam Maik auch schon wieder, knackte die Biere und ehe Paul sich versah nippte er auch schon wieder am frisch geöffneten Pils. „So, wo waren wir... ah ja, ich weiß. Die Vorzüge von Hotels. Aber bevor ich dir davon erzähle, möchte ich wissen, was dich so bedrückt ... es hilft oft, jemandem einfach seine Sorgen zu erzählen, gerade, wenn man ihn nicht kennt, so wie du mich!?“ sagte Maik. Maik hatte Recht, dachte sich Paul. Erzählen hilft und da er sonst immer alles mit sich selber ausmachte, fand er die Idee gar nicht so schlecht. Klar hatte er auch schon überlegt, eine Therapie zu machen, aber jedes Mal, wenn er es sich vornahm waren, alle Therapeuten ausgebucht und ein Termin erst in mehreren Monaten oder Jahren frei. Man musste wohl schon so weit sein, sich vor den Zug zu schmeissen, um irgendwo einen Platz zu bekommen. Aber er hatte es immer hingenommen. So schlimm wird es wohl nicht sein. Es wird schon wieder. Wird es anscheinend wohl nicht. Er wollte die Chance nutzen und Maik ein paar von seinen Problemen erzählen. Mal sehen was er dazu sagte. Vollig unbefangen und frei. Vielleicht würde er aber auch nur lachen und sich denken, was für Kinkerlitzchen Pauls Probleme waren. Scheiß drauf, dachte sich Paul. „Ich weiß gar nicht so genau, wo ich anfangen soll. Es sind irgendwie so viele Dinge, die mir täglich durch den Kopf schießen. Es ist eine Mischung aus allem.“ sagte Paul nervös. „Nun mal langsam, alles auf einmal geht auch nicht. Was hat dich denn heute Abend im Zimmer am meisten beschäftigt? Es sind doch häufig die selben Sachen ... Frauen, Geld und Anerkennung.“ versuchte Maik Paul durch die Antwort zu fokussieren. Paul schmunzelte „Ja, Du hast Recht – das sind alles auch Sachen, die auf meiner Liste der Probleme auftauchen. Heute Abend hab ich überlegt, mir ein Escort-Girl zu bestellen, aber war dann wieder zu geizig. Ich überlegte auch, eine meiner Bekanntschaften anzurufen, hatte aber dann keine Lust auf das ganze Gerede drumherum ... letztendlich schaute mir dann Pornos an und holte mir einen runter ... aber das einzige, was es gebracht hat war, dass ich mich noch leerer gefühlt habe.“ sagte Paul. Maik lachte und steckte sich eine neue Zigarette an. Er rauchte die blauen Gauloises. Sein Feuerzeug war ein schwarzes Bic, das unten am Boden schon ordentlich abgekratzt war. Wieviele Biere er wohl damit schon geköpft hatte, fragte sich Paul. „Ja, mit Frauen ist es so eine Sache. Bei so kurzfristigen Bettgeschichten darfst du nie zu verkopft und schon gar nicht zu emotional rangehen und wenn, dann musst du genau drauf achten, auf wen du dich bei so etwas einlässt – Du zahlst auch dafür ... nur eben auf eine andere Art.“ sagte Maik und klopfte Paul dabei aufmunternt auf die Schulter. „Stimmt. Aber auf Dauer kann das doch auch nicht so weiter gehen. Ich meine das sind doch alles so Dinge, wenn ich damit gar nicht erst angefangen hätte, dann hätte ich solche Probleme doch auch gar nicht, oder?“ erwiderte Paul. „Na ja, es ist schon eine Einstellungssache. Ich habe mich zum Beispiel damit abgefunden, allein zu sein und nie Architekt zu werden und genieße es jetzt. Ich mache sozusagen, wonach mir gerade ist. Hier laufen so viele Escorts rum, die ich direkt abfangen kann, da stellt sich bei mir dann gar nicht die Frage, ob ich nein sagen soll. Aber ist das denn dein wirkliches Problem oder worum geht es Dir? Ich hab das Gefühl, dass du das nur vorschiebst ...“ sagte Maik. „Ja vielleicht. Grundsätzlich ist es diese Gefühlsleere, mit der ich nicht klarkomme. Ich habe auf nichts mehr Lust und kann mich für nichts mehr begeistern. Vielleicht ist auch ein Grund, dass alles, was Vergnügen bereitet, immer sofort verfügbar ist und man sich auf nichts mehr erwartungsvoll freuen kann, weil man es ja sofort bekommen kann, wenn man möchte. Wann, wo und egal zu welcher Zeit.“ „Da hast Du nicht ganz unrecht. Aber was willst Du denn? Was sind Deine Ziele, die du mal nicht soeben bekommen oder erreichen kannst?“ fragte Maik. „Das weiss ich eben nicht ... vielleicht ist es Anerkennung oder Bestätigung? Obwohl mir das egal sein müsste. Wie oberflächlich kann man denn sein? Aber anscheinend brauche ich sie, um meine Unsicherheit zu überspielen.“sagte Paul vorsichtig. „Anerkennung?! Unsicherheit?! Mhhh. Wozu brauchst Du denn Anerkennung? Du wirkst auf mich wie ein Typ, der voll im Leben steht und den alle resprektieren und außerdem strotzt du nur so vor Selbstbewusstsein. Auch oder gerde jetzt mit deinen sexy Badeslippern ... Aber wenn es um Annerkennung geht, dann liegt die Wurzel des Problems wohl ein bisschen tiefer – vielleicht in deiner Kindheit oder so.“ stellte Maik fest und ergänzte, dass solche Gespräche ihm gefallen und er es mochte, wenn man mit jemandem richtig reden kann. Paul reagierte mit einem Lächeln und freute sich, mal mit jemandem so zu reden.
Vielleicht war ein Freund doch nicht ganz so falsch, wie er immer dachte. Beide steckten sich eine neue Zigarette an und schauten auf die Straße. Paul blickte auf seine Uhr. Es war mittlerweile 3:15 Uhr. Die Zeit verging wie im Flug. „Pass auf. Jetzt vergiss mal den Scheiß mit der Anerkennung. Solange Du mit dir selber zufrieden bist, ist es doch ganz egal, was jemand anderes sagt. Das gilt für Komplimente aber auch für Kritik. Ich weiß, sich zu hinterfragen ist ganz natürlich, aber geh da ganz naiv ran, blende es aus, fokussiere dich und mach weiter. Und dann versuch, deine Ablenkungen, die Frauen, den Alkohol und was du sonst noch so alles hast, zu reduzieren ... du sollst es nicht lassen, aber nutz es als Highlight für dich ... zum Beispiel, wenn du etwas geschafft hast, auf das Du stolz bist.“schug Maik vor. Paul guckte Maik lange an und war irgendwie erleichtert. „Du solltest Psychologe werden.“ sagte Paul und lachte. „Es ist halb vier nachts und du knallst mir hier sowas um die Ohren ... find ich gut. Sag mal, habt ihr in eurem Lager noch Bier?“ fragte Paul. „Klar... warte, ich hole Nachschub.“sagte Maik und ging los. Paul war ganz platt von dem, was Maik ihm erzählt hatte. Aber auch glücklich, denn es machte alles irgendwie Sinn. Klar ist es immer leicht, sowas zu sagen, wenn man nicht in so einem miesen Gefühlszustand ist, aber irgendwo muss man ja anfangen. Paul holte die letzte Luckys aus der Schachtel und schaute schon mal umher, ob er einen Zigarettenautomaten sah. Aber weit und breit keiner zu sehen. Die werden auch immer weniger, dachte sich Paul. Maik war nun schon eine ganze Weile weg und Paul fing langsam an zu frieren. Also beschloss er, nachdem die letzte Zigarette aufgeraucht war, nachzusschauen, wo Maik blieb. Paul ging durch den Seiteneingang rein und direkt ins Lager, wo die ganzen Rollwagen mit Obst, Getränken und Küchenutensilien standen. Alles war hell erleuchtet und er ging einfach den Gängen entlang, die ihm am logischten erschienen. „Maik?“ rief Paul vorsichtig. Doch es kam keine Reaktion. Es war weit und breit niemand zu sehen und Paul suchte weiter. Er war auch nicht gerade leise, da seine Badesplipper ein Klatschen auf dem Fliesenboden erzeugten, dass er dachte, jeden Moment kommt die Security und rangelt ihn zu Boden. Aber niemand kam. Wahrscheinlich gönnt die Security sich auch gerade mal eine kleine Raucherpause. Langsam war Paul beim Getränkelager angekommen und schnappte sich ein paar Flaschen, die er unterm Arm mitnehmen konnte. Da sah er im hinteren Teil des Lagerraums Maik stehen – mit heruntergelassener Hose. Vor ihm kniete eine Frau. Relativ hübsch, zumindest, was er aus der Ferne sehen konnte. „Maik, mach hinne ... ich habe Bier geholt.“ rief Paul und fing an zu lachen.„Nu lass einem Mann doch mal 5 Minuten Spaß. Ich komme ja gleich!“ rief Maik lachend zurück, war aber schnell wieder in seiner Konzentration, da er eigentlich schon im entscheidenen Moment angekommen war, als Paul dazwischen grätschte. Paul ging gemütlich in seinen Badeslippern und dem Bier zurück auf die Bank beim Lieferanteneingang. Maik hatte seine Gauloises draußen liegen lassen, so dass er sich frei bediente. Da kam Maik auch schon zurück, fummelte noch an seiner Hose rum und hatte die hübsche Dame dabei. „Das ist Paul. Paul, das ist Coco.“ stellte Maik die beiden vor. „Hallo, nett dich kennenzulernen. Schöner Name.“ sagte Paul, was natürlich gelogen war. „Danke. So ich muss los. Ich habe noch einen Termin. Bis zum nächsten Mal.“ sagte Coco und verschwand mit ihrer Tasche und einer Flasche Dom Pérignon unterm Arm in die Nacht. Bei genauerem Hinschauen, dachte sich Paul, war sie gar nicht mehr so hübsch. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihn gar nicht richtig beachtete. Paul war sensibel bei sowas. Ein wenig Anstand durfte schon sein. Und so schwand die Schönheit aufgrund der mangelnden Höflichkeit. „Sag mal, hast Du die gerade mit dem Champagner bezahlt?“ fragte Paul schnell, als Coco verschwunden war. „Klar, was denkst Du denn? Ich nehme die hier aus dem Bestand und sage, dass sie mir runtergefallen ist. Bis jetzt hat noch keiner was gesagt.“ erwiderte Maik und fing wieder an zu lachen. „Du bist echt ne Type.“ sagte Paul und öffnete die nächste Bierflasche. „Ja, so lässt sich das aushalten. Und warum auch nicht? Versuch, Dinge locker zu nehmen und spontan zu sein. Das macht vieles leichter. Klar, nen Plan im Hinterkopf zu haben ist toll, aber wenn der Weg dahin ein paar Abzweigungen hat, macht es ihn umso interesanter.“philosophierte Maik. Die beiden saßen noch eine Weile auf der Bank, bis Paul irgendwann meinter, er müsse langsam los. Um 7 Uhr muss er aufstehen, da er arbeitsbedingt in Berlin war. Ein paar Stunden Schlaf täten da noch ganz gut. „Es war toll, dich kennenzulernen und unsere Unterhaltung fand ich super ... Also beim nächsten Besuch treffen wir uns wieder um 2:45 Uhr hier an der Bank.“ verabschiedete sich Paul gut gelaunt. „Das passt ... das ist immer meine Zeit. Wenn Du willst, kannst Du hier unten mitreinkommen, das geht schneller.“ sagte Maik. Beide gingen durch den Lieferanteneingang rein und Maik verriegelte die Tür. „Hier, nimm die noch mit... dann sag ich ich, habe zwei kaputt gemacht.“ flüsterte Maik und reichte Paul eine weitere Flasche Dom Pérignon. Paul lachte nur und versteckte die Flasche unter seiner Barbourjacke. Maik begleitete Paul noch bis zum Aufzug, die beiden reichten sich die Hände und umarmeten sich. „Du riechst nach Hure! Dusch dich mal!“ sagte Paul lachend zu Maik. Dieser stieß ihn lachend in den Farstuhl und drückte, als kleine Rache, auf ein paar Etagenknöpfe, die er erwischte. Beiden lachten sich an, die Tür ging zu und die Fahrstuhlmusik begann zu dudeln. Verrückt, dachte sich Paul, was für ein netter Typ. Passt so gar nicht in das Bild eines Hotelmitarbeiters von diesem Hotel. Aber na ja, in die Leute reingucken kann man halt nicht. Nachdem Paul, nach ein paar Umwegen, im 29. Stock angekommen war, ging er wieder diesen elend langen Flur entlang zu seinem Zimmer. Langsam merkte er die Biere, den Gin und was er sonst noch so den Tag über verteilt getrunken hatte. Aber er konnte mehr oder weniger noch geradeaus gehen. Die Champagnerflasche war ein guter Ausgleich für seinen Gang. An seiner Tür angekommen hörte er, dass ein paar Zimmer weiter gerade jemand vom Inneren des Zimmers an der Tür herum fummelte um sie aufzubekommen. Um diese Zeit, dachte sich Paul, aber im selben Moment fiel ihm ein, dass er ja auch auf dem Flur unterwegs war. Es kam eine braunhaarige Frau aus dem Zimmer. Sie hatte ein schwarzes Kleid an und ihre Stilettos in der Hand. Wieviele Escorts laufen denn hier rum, fragte sich Paul. Die Frau sah ihn an und lächelte. Paul lächelte zurück. „Also, wenn Du noch Zeit hast und den Champagner hier mit nach Hause nehmen möchtest, dann kannst Du gerne noch reinkommen.“ sagte Paul und schaute der Frau noch etwas länger in ihre Augen und versuchte dann, mit der Zimmerkarte sein Zimmer zu öffnen. Paul bekam die Tür nach ein paar Versuchen auf und hatte die Frau auch fast schon wieder vergessen, doch bevor die Tür in Schloss fiel, hielt die Brünette die Tür auf und kam herein. Paul war etwas überrascht, entschuldigte sich dann aber schnell für die Unordnung und die Badeslipper an seinen Füßen. „Schön, dass du Zeit hast.“ sagte Paul erfreut, stellte den Champagner auf den Tisch und zog seine Barbourjacke aus.
Am Morgen, genauer gesagt um 7 Uhr, klingelte der Wecker und Paul konnte kaum aus dem Augen gucken. Jeden Mogen der gleiche Mist, dachte er sich. Paul war kein Morgenmensch und ansprechen sollte man ihn vor dem ersten Kaffee auch nicht. Die Frau lag immer noch in seinem Bett. Es war ihm egal. Ersmal musste er wieder mit sich klarkommen. Er zog sich schnell seine Sachen an, schlüpfte wieder in die Slipper und seine Barbourjacke und machte sich schnell auf den Weg nach unten, um seinen ersten Kaffee zu trinken. Die erste Tasse des Tages ist immer noch eine der besten. Leider auch immer viel zu schnell alle. Nach vier oder fünf Tassen und ohne etwas zu essen – der Appetit kam bei Paul immer erst so 2-3 Stunden nach dem Aufstehen, ging er zurück in sein Zimmer, um seine Sachen zu packen. Da lag die Brünette immer noch im Bett und schlief tief und fest. Er wusste nicht einmal ihren Namen. Aber das war auch egal. Je weniger er wusste, umso besser. Ihre langen Beine schauten unter der Decke hervor und Paul stand eine Weile da und guckte einfach nur. Doch bevor seine Gedanke vom nächsten Kaffee wieder auf was Versautes umschwenkten, drehte er sich um und verschand auf den Flur. Ein letztes Mal diese langen Gänge, dachte er sich. Ein letztes Mal diese Fahrstuhlmusik und der Fahrstuhlgeruch. Unten an der Rezeption angekommen gab er seine Karte bei der Empfangsdame ab. Irgendwas mit Frau Schubert stand auf ihrem Schild. „Danke. Ich hoffe es war alles zu ihrer Zufriedenheit. Wir freuen uns auf ihren nächsten Besuch bei uns.“ leierte sie ihren Verabschiedungstext runter. Diese gespielte Freundlichkeit. Seelenloser ging es fast nicht mehr, dachte sich Paul. Aber er wollte sich irgendwie nochmal bei Maik bedanken. Ob er wohl noch da war? Ob seine Schicht noch lief. Paul schaute auf seine Uhr und musste nun dringend los. Er holte seine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie und reichte sie über den Tresen. „Können sie die bitte Maik geben, der hier arbeitet? Im Service, soweit ich weiß. Einen Nachnamen hab ich leider nicht. Nur Maik. Und richten sie ihm bitte aus, dass er sich bei Gelegenheit mal melden soll.“ instruierte Paul die Rezeptionistin. Sie nahm die Karte und guckte wie versteinert. „Wem soll ich die Karte geben?“ Im Weggehen rief Paul noch mal den Namen von Maik durch die Lobby und war dann auch schon durch die großen Ausgangstüren verschwunden. Frau Schubert sah sich ungläubig Pauls Visitenkarte an und griff dann zum Hörer und wählte irgendeine interne Kurzwahl. „Ja, hallo hier ist der Empfang. Sagen sie, hatte Maik gestern Nachtschicht?“ fragte sie. Es dauerte eine Weile, bis sie Antwort von der anderen Seite bekam. Sie nickte und legte dann auf. Ein paar Minuten später griff sie zu ihrem Handy und fing an eine Nachricht zu schreiben: „Hey Schatz, warum sagst du mir nicht, dass du gestern Schicht im Hotel hattest? Ich hatte auch Nachtschicht und war die ganze Zeit am Empfang. Meld dich. Kuß. Deine Karen.“ Sie überflog die Nachricht nochmal und drückte dann auf senden
Weitere Stories
RED LIGHT – GREEN LIGHT
Jens war einer dieser Menschen, die gerne abends weggingen …
CHARLY WAS HERE
Paul war wieder mal in Berlin. Die Sonne schien und brachte …
DANCE, DANCE, DANCE
Oktober 2002. Berlin. Auf dem Alexanderplatz herrscht wie immer …